Frutiger Anzeiger, Nr. 42 15. Okt. 2013
Rezension der WOZ, Nr. 46, 14.11.2013
Zuger Woche. Dienstag 15.10.2013
Militär unter Generalverdacht
BUCHTIPP «Kanderschlucht» – der neue Roman von Peter Beutler
Er ist ein Wiederholungstäter. Gemeint ist der Berner Romanschreiber Peter Beutler. Nach seinem Erstlingswerk «Weissenau» und dem Folgebuch «Hohle Gasse», schiebt er nur sein drittes Werk «Kanderschlucht» nach.
Von Dany Kammüller
Auch in seinem dritten Roman macht Peter Beutler das, wofür er bekannt wurde: er nimmt kein Blatt vor den Mund und kratzt selbst am Lack einer in der Schweiz nach wie vor heiligen Kuh, sprich der Schweizer Armee. Beutler rollt in seinem historisch angelehnten Polizeiroman «Kanderschlucht» ein ganz dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte neu auf. Es geht um einen Geheimbund in der Nachkriegszeit.
Die Story
Angangs der 50er Jahre werden im Berner Oberland die Leichen von vier Prostituierten gefunden. Wachmeister Michael Bärtschi von der Berner Kantonspolizei und sein Kumpel, Hauptmann Max Schmocker von der Militärjustiz ermitteln gemeinsam in einem sehr mysteriösen Fall. Die Spur führt sie irgendwann auf das damals sehr heisse Terrain der Schweizer Armee. Im Zusammenhang ihrer Ermittlungen stossen sie auf einen Forschungsbunker, in dem anscheinend geheime Drogenexperimente, unter anderem mit LSD und Heroin, durchgeführt werden. Was anfänglich wie eine Mordserie im Rotlichtmilieu aussieht, entwickelt sich mehr und mehr zu einem wahren Politthriller. Bärtschi und Schmocker geraten in einen Intri-gensumpf mit weitreichenden Folgen, denn in den 50er Jahren war die Schweizer Armee wirklich noch eine heilige Kuh und deren Offiziere Halbgötter in Grün.
Packend erzählt
Dieses Buch packt den Leser, führt ihn in Abgründe der Schweizer Geschichte. Die Idee und den Mut solche Themen überhaupt anzupacken, verdienen unseren Respekt. Die ersten 150 von Total 312 Seiten las ich fast in einem Tag. Danach wird Beutler leider auch hier erneut zum Wiederholungstäter, in dem er die Beschattungsprotokolle eines 26-jährigen «Detektivs» über zwölf Seiten ausbreitet. Zwar nicht mehr ganz so extrem, wie in seinem letzten Buch aber immer noch so langatmig, dass man Gefahr läuft, den Faden zu verlieren. Der Spannungsbogen bricht so leider ein wenig ein. Vielleicht sehe auch nur ich das Ganze ein wenig zu eng. Aber Protokollauszüge in Romanen kommen mir als «Vielleser» halt immer wie «Platzhaltertexte» vor, die den Ablauf als solchen künstlich verlängern. Anstelle eines Protokolls könnte man eine solche Passage auch mit einer spannenden Unterhaltung oder einer actionreichen Erzählung überbrücken. Doch was soll’s, da die Story als solche mehrheitlich fesselt, liest man doch auch gern weiter, denn man will ja wissen, wie es ausgeht. Und wie es ausgeht, erfährt man eben nur, wenn man das Buch zu Ende liest. Und auch diesen Roman kann ich Ihnen – Spannungsbogen hin oder her – einmal mehr aufs Wärmste hin empfehlen. Beutlers neuestes Werk ist im Buchhandel erhältlich und kann auch im Internet unter www. emons-verlag.de bestellt werden: ISBN: 978-3-95451-136-5.
«Schaurige» Delikatessen und vier Morde an Dirnen
KANDERSTEG Nach «Weissenau» und «Hohle Gasse» hat der Oberländer Krimiautor PeterBeutler an einer ungewöhnlichen Vernissage in Kandersteg seinen dritten Roman vorgestellt. «Kanderschlucht» istkeine Geschichtefür empfindsame Gemüter, auch wenn Humor die Tragik desGeschehens mildert.
«Man traut Peter Beutler solche Geschichten gar nicht zu, wenn man sich mit ihm unterhält», staunte Nico Seiler, der zusammen mit der Dorfbibliothek Kandersteg zur Vernissage des neuen Buches «Kanderschlucht» in sein Hotel Alfa Soleil eingeladen hatte. Dabei bereicherte Seiler Beutlers Lesung in drei Akten auch gerade mit «schaurigen» Delikatessen: Leckereien, die genau jenen in den vorgelesenen Kapiteln entsprachen.
«Wiekommtein Autor zu solch schauerlichen Gedankengängen», fragt sich auch der Leser, der bereits im ersten Kapitel Gwattegg entscheidet, ob er weiterliest oder das Buchaufgewühlt zur Seite legt. Der Entscheid zu diesem Zeitpunktist wichtig, denn spätestens zwei oder drei Kapitel später kommt Aufhören vorlauter Spannung kaum mehr infrage.Oder wie ein Besucher an der Vernissagebekannte: «Ich hab das Buch in einem Zug durchgelesen.»
Auf die Frage, was er mit dem Roman, in dessen Zentrum ein vierfacher Dirnenmord steht, bezwecken wolle, gestand der auf dem Zwieselberg aufgewachsene und wieder ins Oberland zurückgekehrte pensionierte Gymnasiallehrer Peter Beutler: Nebst spannender Unterhaltung habe er eine Botschaft des Filzes unter den Mächtigen im Kopf, deren Moral im Wegschauen bestehe. Dies hatte ihm schon nach den ersten Romanen den Verdacht der Linkslastigkeit eingebracht – zu der er sich aber auch voll bekennt.
Vergangenheit wird lebendig
Die Faszination von Beutlers Schreibe machen die präzis dargestellten Örtlichkeiten rund ums Geschehen aus. Der ältere Leser fühlt sich unweigerlich zurückversetzt in die 50er-Jahre des 20.Jahrhunderts, die jüngeren staunen über die Zeit, als man zum Telefonieren ins abgelegene
«Man traut Peter Beutler solche Geschichten gar nicht zu, wenn man sich mit ihm unterhält.»
Nico Seiler
Nachbarhaus musste, als es in Steffisburg einTram und ein Puff gab, als Dirnen als unmoralisch galten und das Konkubinat bei Strafe verboten war. Wie weit Beutlers Geschichten auf wahren Begebenheiten beruhen, lässt sich 60 Jahre nach dem angeblichen Geheimbund im Militärbunker weder abschliessend belegen noch komplett als Fantasie beweisen.
Peter Beutler legt den Figuren seines Krimis alles andere als gepflegte Konversation in den Mund. Wenn seine Zeitgenossen schlecht wegkommen, sei das keineswegs despektierlich gemeint, sagte Beutler. Er selbst gehöre ja auch zu ihnen. Gute und weniger Gute gebe es in allen Gesellschaftsschichten, Dumme und Gescheite auch.
Guido Lauper
Peter Beutler,«Kanderschlucht», Kriminalroman,320 Seiten, kartonierter Einband, Fr.16.50,Emos-Verlag 2013, ISBN 978-3-95451136-5.
Hinweis zu diesem Bericht und zu dieser Rezension
Es war die schönste Vernissage, die ich bislang erlebt habe. Dabei fing es gar nicht so gut an in Kandersteg. Ursprünglich war geplant, den Anlass in der kleinen Gemeindebibliothek durchzuführen. Bei einem Besucherandrang wäre vorgesehen gewesen, in das Hotel Bernerhof auszuweichen.
Man schien dort zunächst nicht dagegen zu haben. Doch 10 Tage vor der Vernissage kam ein Telefon an die Veranstalterin, das war die Gemeindebibliothek, man könne doch kein Raum zur Verfügung stellen. Grund: Die Person Peter Beutler sei nicht genehm. Dabei waren viele Einladungen schon verschickt.
Das Hotel Alfa Soleil erklärte sich daraufhin bereit, einen Raum für die Vernissage zur Verfügung zu stellen. Und es wurde zu einem gigantischen Erfolg. Gegen 50 Personen nahmen daran teil. 38 Bücher wurden verkauft. Die Gemeindebibliothek hätte etwa 10 Personen Platz geboten.
Ende gut, alles gut?
Klar doch, das Alfa Soleil war ein Glücksfall. Von den vielen Aushängen im Dorf Kandersteg wurde kein einziges herunter gerissen. Ein Zeichen der Toleranz, auf jeden Fall. Ein leicht bitterer Nachgeschmack bleibt doch hängen. Es scheint auch in Kandersteg, wie im ganzen Berner Oberland, Zeitgenossen zu geben, die für sich beanspruchen, zu bestimmen, welche Veranstaltungen in unserer Region abgehalten werden dürfen. Es wäre blauäugig, von solchen Leute Fairness zu erwarten. Aber man sollte sich von ihnen nicht unterkriegen lassen. Am 18. Oktober 2013 haben zahlreiche Menschen in Kandersteg eindrücklich demonstriert, dass es auch anders geht.
Der Bund, Donnerstag, 17. Oktober 2013 —
Kultur – Dämonisches Treiben im Berner Oberland
Einmal mehr greift Peter Beutler einen brisanten Stoff auf und kratzt mit seinem neuen Krimi am Bild einer harmlosen Schweiz.
Beatrice Eichmann-Leutenegger
Was wird da nicht alles verdrängt, mit einem Filz durchwirkt und unter den Tisch gekehrt! Erst glaubt man, es handle sich bei dieser Mordserie um die wahnhafte Tat eines Einzelgängers. In kurzen Abständen werden zu Beginn der Fünfzigerjahre im Berner Oberland vier Prostituierte aufgefunden, die alle auf die gleiche Weise ermordet worden sind. Doch die Obduktionsberichte stellen fest, dass in keinem dieser Fälle ein Sexualverbrechen vorliegt. Ein Jeep aus dem Armee-Motorfahrzeug-Park des Waffenplatzes Thun, der im Umkreis des Tatorts gesichtet worden ist, sorgt für weitere Aufregung, war doch der Offizier am Steuer ein älterer distinguierter Herr. Lange bleiben für Wachtmeister Michael Bärtschi und Hauptmann Max Schmocker von der Militärjustiz die Mordmotive im Dunkeln. Kommt hinzu, dass bereits fünf Jahre zuvor, im Herbst 1945, ähnliche Mordfälle im Zürcher Rotlichtmilieu passiert sind. Früh fällt zwar der Verdacht auf einen kleinen Personenkreis, vor allem auf den Direktor der Buntmetallwerke Bodmer, Theodor von Vrisching. Da möchte sich während des Lesens ein kleiner Ärger einschleichen, dass der mögliche Täter so rasch ins Rampenlicht tritt.
Menschenversuche mit Heroin
Aber da irrt man sich gewaltig. Denn der 1942 im Berner Oberland geborene und heute wieder am Thunersee lebende Peter Beutler, ein promovierter Chemiker, legt wie schon in seinem Vorgängerroman «Hohle Gasse» eine verzwickte Geschichte vor. Kein einsamer Täter, vielmehr eine ganze Organisation rückt ins Visier und sprengt die Dimensionen eines herkömmlichen Kriminalfalls. Der Vorteil der opulenten Erzählanlage liegt darin, dass sich die Spannung bei jeder zusätzlichen Erkenntnis der ermittelnden Behörde neu aufbaut. Dafür braucht die Leserschaft ein ordentliches Mass an Konzentration, um der sorgfältig recherchierten Geschichte in ihren Verästelungen folgen und die Funktionen aller Personen im Auge behalten zu können. Das heisst: Bisweilen ufert die Story aus. Eine schlankere Linie hätte ihr nicht geschadet, obgleich die anschaulich eingefangenen Nebenszenen in Privathäusern und Wirtschaften durchaus amüsieren.
Zwei Handlungsschichten lassen sich erkennen, die allerdings nur allmählich eine Kohärenz vorweisen. Vorerst handelt es sich um die Aufdeckung von Menschenversuchen mit LSD und Heroin. Die Testpersonen stammen aus dem Milieu so genannt Randständiger, die «für unsere Gesellschaft eine Belastung» sind – soTheodor von Vrisching. Die Versuche, bei denen KZ-Arzt Mengele als Vorbild wirkt, werden in einem bestens ausgestatteten Bunker vorgenommen, der sich in der Schlucht am Zusammenfluss von Kander und Simme verbirgt. Den Angehörigen der Opfer, meistens Dirnen oder Schwerverbrecher, schickt man als «Entschädigung» eine für die damalige Zeit erhebliche Summe von zehntausend Franken zu, wobei der Geldgeber unter falschem Namen auftritt. Den grösseren Zusammenhang aber bilden die Aktivitäten geheimer Organisationen – später als P-14 und P-15 enttarnt. Ihre Mitglieder, zum grossen Teil aus einflussreichen Kreisen der Politik, Wirtschaft und Armee stammend, betrachten sich als «Patrioten», denen die «Vorherrschaft der christlich-abendländischen Kultur» am Herzen liegt. Ihre Stossrichtung zielt in der Zeit des Kalten Krieges auf die Linke: auf Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Presseleute und sonstige kritische Geister.
Es hätte sein können
Peter Beutler weist im Epilog auf den fiktiven Charakter seiner Geschichte hin. Und doch schränkt er ein: «Es hätte tatsächlich so geschehen können.» 1990 wurde bekannt, dass die Schweiz eine Geheimarmee und einen geheimen Nachrichtendienst im Hinblick auf den Fall einer Besetzung unterhielt. P-26 und P-27 lauteten die Kürzel dieser Projekte, die indessen erst ab 1973 liefen. «Kanderschlucht» gehört daher in den Bereich der Romanliteratur mit all ihren Freiheiten der Sichtweise, der Akzentuierung und der zeitlichen Verankerung.
Peter Beutler: Kanderschlucht. Kriminalroman. Emons-Verlag, Köln 2013. 320 Seiten, etwa Fr. 16.50.
Bericht vom Frutigländer, 21. 10 13