In «Kanderschlucht» ermitteln Wachtmeister Bärtschi und Hauptmann Schmocker in einer Mordserie an Prostituierten im Berner Oberland der 1950er-Jahre. Sie finden heraus, dass ranghohe Militärs mit den umgebrachten Prostituierten Kontakt hatten, und so geraten ein ehemaliger Oberst und ein Chemiker des ABC-Labors in Spiez ins Zentrum der Untersuchungen. Wie wenn eine Mordserie an Prostituierten nicht schon genügend Stoff für einen Kriminalroman liefern würde, entpuppt sich diese im Lauf der Geschichte als noch brisanterer Fall.
Werbung
Viel Lokalkolorit
Da die Geschichte vom Berner Oberland handelt, garantiert sie für einheimische Leser einen gewissen Lesespass. Die Szenerien reichen von Restaurantbesuchen in Reutigen über Verfolgungsjagden durch das Simmental bis hin zu Untersuchungen in Steffisburg. Auch das Bödeli ist immer wieder Schauplatz, unter anderem trifft sich der Hauptverdächtige mit einer verdeckten Ermittlerin im sogenannten Restaurant «Ländte» in Bönigen. Wer die Ortschaften kennt, der kann mit der Lektüre gleichsam durch die Region reisen und den einen oder anderen vertrauten Platz einmal als Gegenstand eines Kriminalromans erleben. Es ist eine clevere Idee, einen regionalen Bezug herzustellen, damit kann sich ein Krimi von vielen anderen im Regal des Buchladens abgrenzen und hat bereits ein Publikum auf sicher. Betrachtet man hiesige Buchläden, so merkt man, dass dies ein florierender Markt sein muss. Mittlerweile sind Krimis mit regionalem Bezug zu vielen Gegenden der Schweiz erhältlich. Garant für einen guten Kriminalroman ist dieser Bezug allerdings nicht. Es beschleicht einen bei der Lektüre zuweilen das Gefühl, der Autor setze etwas gar stark auf den regionalen Bezug der Geschichte. So wird praktisch kein (Seiten-)Tal ausser Acht gelassen, wenn sich beispielsweise ein flüchtiger Verdächtiger überlegt, wohin er sich verdünnisieren soll – weniger Szenenwechsel und dafür eingehendere Beschreibungen der jeweiligen Orte wäre vielleicht mehr gewesen.
Einfache Charaktere
Leider gelingt es Beutler nicht, den jeweiligen Charakter der Personen mit Fortschreiten der Geschichte genügend auszuleuchten. So erfährt man auch über die Protagonisten nur sehr wenig, und wenn man etwas erfährt, dann wiederholt es sich. So erklärt der Wachtmeister bei Verhören seinem Gegenüber immer wieder, dass er «nur der ermittelnde Justizoffizier» sei und keine Urteile fälle. Auch machen die einzelnen Figuren keine Entwicklungen durch, obwohl im Roman über drei Jahre verstreichen – eigentlich genügend Zeit für Veränderungen. Überhaupt scheint mehr Wert auf einen möglichst grossen Ereignishorizont gelegt worden zu sein, anstatt den Irrungen und Wirrungen der Täter und Ermittler auf die Spur zu gehen.
Einige Knackpunkte
Man stolpert manchmal über plumpe Formulierungen, und Beutler bedient sich allzu oft Floskeln und Wendungen. So lässt er etwa eine Figur «heulen wie einen Schlosshund». Schade, denn solche Verwendungen entbehren der Originalität. Auch wird ein Krimi nicht spannender, indem man die Protagonisten dies zwischendurch erwähnen lässt, so wie Hauptmann Schmocker, der es «irgendwie (…) sehr spannend» findet. Auch dass «Gerechtigkeit und Justiz (…) zwei verschiedene Dinge» sein können, war wohl den meisten schon vor diesem Roman bekannt.
Ein weiterer Knackpunkt ist die Erzählerfigur. Diesen Erzähler lässt der Autor in einem Moment in despektierlicher Manier von der (Schul-)«Klasse der Schwachsinnigen» reden und kurz darauf gebraucht er das Wort «Handicap», welches in den 1950er-Jahren geradezu futuristisch anmutete und anno dazumal wohl auch noch nicht in den Sprachgebrauch integriert war. Es kann höchstens als erstes Indiz (abgesehen von der Widmung zu Beginn des Buches) dafür gedeutet werden, dass der Erzähler diese Geschichte rückblickend (aus der Gegenwart) erzählt. Dann macht es aber keinen Sinn, dass der Erzähler das Wort «schwachsinnig» braucht. Solche und andere Wortverwendungen scheinen eher unreflektiert und zufällig, eine kohärente Strategie seitens des Autors lässt sich nicht erkennen.
Vermischung von Realität und Fiktion
Am Schluss des Romans vermittelt der Autor dem Leser Folgendes: «Das in diesem Buch Erzählte ist fiktiv, doch nicht einfach so erfunden. Es hätte tatsächlich so geschehen können.» Danach folgt ein kurzer Exkurs über die wahren Begebenheiten, die Anlass für dieses Buch gaben. Es bleibt fraglich, welchen Beitrag der Roman zu dieser historischen Thematik leistet. Klar, er erinnert den Leser an ein wenig bekanntes Kapitel der neueren Geschichte. Das ist aber eine heikle und schwierige Angelegenheit, wenn man es mit einem fiktiven Text durchmischt. Die Gefahr, dass die historischen Umstände undifferenziert gewürdigt werden, ist gross.
Unterhaltsame Lesestunden
Wer über diese Mängel hinweg sehen kann, dem bleibt eine gute Unterhaltung aber nicht verwehrt. Beutler ist ein durchaus süffiger, regionbezogener Krimi gelungen, der so manchem Leser kurzweilige Stunden in die kalte Winterstube bringen wird. Es fehlen die unterschiedlichen, fein gezeichneten Charaktere, die einem Kriminalroman oft das gewisse Etwas verleihen, und sprachlich ist nicht alles über jeden Zweifel erhaben. Ob es dem Autor mit dieser Fiktionalisierung tatsächlich gelingt, glaubhaft den Finger auf einen wunden Punkt der Geschichte zu drücken, sei dahingestellt.
Zum Buch
Peter Beutler: «Kanderschlucht», Emons-Verlag, 304 Seiten.
Preis: Fr. 16.50
ISBN: 3-9545113-6-3
Das Buch ist im Buchhandel erhältlich.